Am Neujahrstag vor 50 Jahren
Am Neujahrstag vor 50 Jahren begann für die Menschen in fünf selbstständigen Kommunen im Altkreis Gelnhausen eine neue Ära: Der hessische Teil des alten geschichtlichen Freigerichts – die Ortsgemeinden Altenmittlau, Bernbach, Horbach, Neuses und Somborn – schlossen sich freiwillig zur „Großgemeinde“ Freigericht zusammen, die erste Fusion dieser Art im Main-KinzigKreis und einer der ersten Zusammenschlüsse in der gesamten Bundesrepublik. Es gibt wohl keinen Experten, der mehr über die Gründung der Gemeinde weiß, als Martin Trageser. Der Ehrenvorsitzende des Freigerichter Parlaments hat 2001 in den Freigerichter Heimatblättern die Geschichte des Zusammenschlusses für die Nachwelt festgehalten.
1969: Aufbruchstimmung
Am 21. Februar 1969 veröffentlichte der CDU-Ortsverband Somborn nach einer gemeinsamen Sitzung des Ortsvorstandes und der Fraktion eine wegweisende Pressemeldung. Darin regte Walter Streb eine Fusion in Freigericht an, um vom neuen Finanzausgleichsgesetz in Hessen profitieren zu können. Der damalige Bürgermeister in Somborn suchte den Kontakt zum Hessischen Gemeindetag und bat um entsprechende Unterlagen. Schon damals bestanden in den fünf Orten übrigens Pläne für ein gemeinsames Schwimmbad, für Sport- und Kläranlagen.
Eine entscheidende Weiche für die spätere Freigerichter Einheit stellt das Somborner Ortsparlament im März 1969. CDU, UWG und SPD stimmen für einen Antrag der CDU-Fraktion und erklärten so ihre Bereitschaft für einen Zusammenschluss der Gemeinden des Freigerichts. Die Sozialdemokraten regen zudem Verhandlungen mit den Nachbarkommunen Gondsroth und Neuenhaßlau an. Doch schon im Juli 1969 erklären diese ihre Ablehnung.
Ebenfalls im Juli 1969 lädt der Somborner Bürgermeister Georg Kreis alle Gemeindevorstände aus den fünf betroffenen Kommunen ein, über den Zusammenschluss zu beraten. Damals hatten bereits alle Ortsparlamente bis auf Horbach ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Fusion erklärt. Beim Treffen in Somborn vereinbaren die Teilnehmer, ein Gremium zu gründen, das den sogenannten Auseinandersetzungsvertrag erarbeiten soll. Nach zwei Sitzungen in Somborn und Altenmittlau steht der Vertrag, bei einem dritten Treffen in Bernbach berät das Gremium über die Wahl des neuen Bürgermeisters und der Beigeordneten.
Als nach der vierten Sitzung in Horbach Anfang Oktober 1969 die Vorbereitungen abgeschlossen waren, ergriff der Vorsitzende der Somborner Gemeindevertretung, Aloys Streb, die Initiative und lud die verantwortlichen Kommunalpolitiker zu einer Sitzung in den „Löwensaal“ nach Neuses ein. Unter der Moderation von Landrat Hans Rüger (CDU) einigten sich die Teilnehmer Anfang November 1969 auf den Verteilungsschlüssel für die nach dem Finanzausgleichsgesetz zu erwartenden höheren Zuweisungen. Die Einigung sah vor, die Hälfte des Gelds aus Wiesbaden als Mindestbeträge den Ortsteilen zufließen zu lassen. Altenmittlau, Bernbach, Horbach und Neuses sollten jeweils einen Anteil und Somborn zwei Anteile erhalten. Nach diesem einstimmigen Beschluss waren alle größeren Hindernisse ausgeräumt. Anschließend stimmten die Ortsparlamente dann jeweils für die Fusion.
Eine lange Debatte über den künftigen Namen „Freigericht“ blieb aus. Auch, dass der Sitz der neuen Gemeindeverwaltung in Somborn entstehen sollte, war unstrittig. Bereits 1966 war im dortigen Zentrum ein modernes Gebäude errichtet worden, das ausreichend Platz für sämtliche übernommene Mitarbeiter bot.
Historische Unterschrift
Die historische Stunde schlug am 21. November 1969, als im Somborner Rathaus die fünf bisherigen Ortsbürgermeister, Julius Iffland (Bernbach), Peter Seikel (Horbach), Georg Kreis (Somborn), Johannes Weigand (Altenmittlau) und Franz Schilling (Neuses) und die fünf ersten in Anwesenheit von zahlreichen Ehrengästen die Urkunde des Auseinandersetzungsvertrags feierlich unterzeichneten. Zwar trägt die Urkunde, unterzeichnet vom damaligen Hessischen Innenminister Dr. Johannes Strelitz, das Datum vom 1. Januar 1970, die Genehmigung der Aufsichtsbehörde, also durch Landrat Hans Rüger, erfolgte aber erst am 29. Mai 1970. Alle Rechte und Pflichten gingen mit der Wirkung des Vertrags auf die neue Großgemeinde über.
In einem Schreiben vom 18. Dezember 1969 hatte der Regierungspräsident in Darmstadt sogenannte Staatsbeauftragte bestellt, die bis zur ersten Kommunalwahl im März 1970 die Geschäfte der Gemeindeorgane führten: Bürgermeister Georg Kreis, Erster Beigeordneter Johannes Weigand sowie die Beigeordneten Franz Schilling, Julius Iffland und Peter Seikel für den Gemeindevorstand. Mit den Aufgaben der Gemeindevertretung wurde Aloys Streb betraut. Bei der anschließenden Wahl am 8. März ging die CDU mit 15 Mandaten als klarer Sieger hervor. UWG und SPD erhielten jeweils fünf Sitze.
1970: Parlament nimmt Arbeit auf
Eine weitere Sternstunde in der Geschichte der Gemeinde schlug am 3. April 1970. Damals konstituierte sich im Nebenraum des Hotels „Zur Krone“ in Somborn das erste Freigerichter Parlament. Berthold Seikel (CDU) wurde der erste Präsident. In der ersten Sitzung der Gemeindevertreter ging es um die Vorbereitung der ersten Bürgermeisterwahl. Diese fand am 11. Juli 1970 im Gasthaus „Zum Engel“ in Somborn statt. Eine Direktwahl gab es seinerzeit noch nicht. So wählten die Parlamentarier den einzigen Kandidaten, der sich nach der öffentlichen Ausschreibung um den Posten beworben hatte: Dr. Eberhard Theis. Hauptamtlicher Erster Beigeordneter wurde im Dezember 1970 Franz Schilling, der zwischen 1975 und 1986 Freigerichter Bürgermeister war.
Die Gemeindevertretung tagte damals wechselweise in den Gasthäusern der einzelnen Ortsteile. Erst nach Fertigstellung der Gesamtschule in Somborn zog man in die dortige Aula und später in die Freigerichthalle in Altenmittlau. Seit 1989 kommt das Parlament meist im großen Sitzungssaal des Rathauses zusammen, das zwischen 1987 und 1988 erweitert wurde.
Ortsteildenken überwunden
Die Folgen des im Auseinandersetzungsvertrag vereinbarten Verteilungsschlüssels sind noch heute zu beobachten. Jeder Ortsteil erhielt ein Stück vom Finanzkuchen, um nicht benachteiligt zu werden. Heute zeigt sich die Gemeinde als einheitliche Gebietskörperschaft, in der das Ortsteildenken keine vordergründige Rolle mehr spielt. Das spiegelt sich auch in den Planungen für das Gemeindejubiläum, daß in allen Teilen der Gemeinde gefeiert werden soll. Aufgrund der Corona-Pandemie müssen sich die Freigerichter allerdings noch etwas gedulden. Doch dank Berichten wie dem Beitrag von Martin Trageser in den Heimatblättern bleibt die Erinnerung an die Aufbruchsstimmung von vor 50 Jahren erhalten.